Die RKiSH lebt von der Summe ihrer Mitarbeitenden
Interview mit RKiSH-Geschäftsführer Michael Reis, seit 2005 an der Spitze des Unternehmens und seit 1990 im Gesundheitsbereich tätig.
Warum sind Sie Geschäftsführer eines kommunalen Rettungsdienstes – und nicht eines kommerziellen Unternehmens?
Diesen Schwerpunkt habe ich schon im Studium gelegt. Danach war ich gleich im Gesundheitswesen tätig, in einem Krankenhaus. Studiert habe ich über den zweiten Bildungsweg. Während meiner Ausbildung als Industriekaufmann hatte ich bereits etwas vom Berufsleben gesehen und war etwas reifer. Für mich war wichtig, Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen, hinter denen ich stehe. Was damals nicht abzusehen war: welchen Stellenwert Ökonomie heute bekommt. Inzwischen ist es wesentlich einfacher, Zigaretten oder Alkohol zu verkaufen als medizinische Dienstleistungen.
Was hat sich verändert?
Der wirtschaftliche Druck hat ebenso stark zugenommen wie der berechtigte Anspruch von Krankenkassen und Patienten an Qualität. Ich habe zudem das Gefühl, dass heute im Gesundheitswesen das betriebswirtschaftliche Prinzip, mit einem bestimmten Aufwand einen bestimmten Ertrag zu erzielen, auf den Kopf gestellt wird. Es soll nun mit geringstem Aufwand ein maximaler Ertrag erzielt werden.
Wie gehen Sie mit diesem Druck für das Unternehmen um?
Zunächst haben wir uns so aufgestellt, dass dieser Druck beherrschbar ist und wir den Anforderungen gerecht werden. Somit sind wir nun in einer Situation, in der wir gestalten können – auch Gesundheitspolitik. Wichtig ist, dass für die Mitarbeitenden Sicherheit sichtbar ist und sie eine Vorstellung davon haben, wo wir hinwollen. Drittens bemühe ich mich darum, Kontinuität zu zeigen, keinen Schlingerkurs zu fahren.
Nach welchen Werten führen Sie das Unternehmen? Oder anders gefragt: Woran glauben Sie?
Die Basis ist: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass es wichtig ist, in meiner Position authentisch zu sein. Und ich glaube in erster Linie an das Gute im Menschen. Ich glaube, dass man Ziele gemeinsam erreichen kann, wenn jeder weiß, wo sein Platz ist im Unternehmen. Jeder soll seinen Beitrag entsprechend seiner Neigungen, Stärken und Schwächen leisten können und in die Gesamtphilosophie eingebunden sein. Menschen brauchen Führung und Orientierung, aber das macht bei jedem einzelnen unterschiedliche Facetten aus. Das zu erkennen und für jeden Platz zu schaffen, sehe ich als meine Aufgabe.
Das ist ein hoher Anspruch.
Ja. Aber das ist mein Ideal, meine Vorstellung. Und da sind wir schon ziemlich nah dran.
Wie beschreiben Sie die Unternehmenskultur der RKiSH?
Es gibt eine erkennbare und spürbare Leidenschaft für den Beruf und etwas bewegen und verändern zu wollen. Die hohe Empathie, die man in dem Beruf einfach mitbringen muss, drückt sich mittlerweile auch in der Unternehmenskultur aus. Das ist ungewöhnlich. Denn gerade in Bereichen, wo Empathie wichtig ist, fehlt oft der persönliche Blitzableiter. Wir haben Instrumente dafür gefunden, wie Gesundheitsmanagement oder psychosoziale Betreuung. Als ich bei unserem Einsatz während des Heavy-Metal-Festivals in Wacken war, habe ich gespürt: Da ist viel Arbeit, aber auch unglaublich viel Spaß daran.
Sie waren in Wacken?
Ja, ich schaue dort immer mal wieder vorbei, um zu sehen, was diese Veranstaltung mit der Organisation und den Mitarbeitern macht. Es war ein superheißer Tag, aber die Stimmung war einfach locker, entspannt und gelöst.
Sie machen regelmäßig Chats mit ihren Mitarbeitern. Wie sind Sie auf dieses moderne Instrument gekommen?
Wir sind sehr dezentral aufgestellt und haben 43 Rettungswachen. Die eigentliche Arbeit findet am Patienten statt– mehr als 200.000 Mal im Jahr. Da kann niemand aus der Leitung, der Geschäftsführung dabei sein. Wo kann ich also hingehen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begegnen? Ab und zu bin ich mal auf einer Wache, aber auch die ist nicht der eigentliche Arbeitsplatz. Auch bei Mitarbeiterversammlungen können nicht alle kommen. Denn die Wachen sind 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr besetzt. Wir können nicht schließen, um uns mal alle in Ruhe zu unterhalten. Also nutzen wir verschiedene Formen der Kommunikation. Der Chat macht Spaß.
Was erwarten sie von ihren Mitarbeitenden?
Wir schaffen die Rahmenbedingungen, dass unsere Mitarbeiter bei uns alt werden können. Diese müssen sie aber in Eigeninitiative nutzen. Ich erwarte, dass sie diesen Weg mitgehen und wir ihn gemeinsam aktiv gestalten. Wo wir gemeinsam Möglichkeiten sehen, etwas zu verbessern, machen wir das. Dafür müssen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber auch selbstständig melden. Außerdem erwarte ich, dass sie unsere Unternehmensziele mit ausfüllen, sie mit Leben füllen und mit weiterentwickeln.
Sie haben die RKiSH aufgebaut. Vorher waren Sie Geschäftsführer des Rettungsdienst-Verbundes Stormarn. Gibt es einen Unterschied?
Ja. Die RKiSH ist einfach viel größer und über eine viel breitere Fläche ausgedehnt. Es sind statt einem Kreis gleich fünf. Zudem kommen die Mitarbeiter hier aus ganz unterschiedlichen Kreisen und haben unterschiedliche Haltungen und Vorerfahrungen zur Wertschätzung eines Rettungsdienstes. Somit ist die RKiSH auch viel heterogener.
Und für Sie persönlich? Ist das Ihr „Baby“?
Der Begriff „mein Baby“ passt nicht, da die RKiSH aus der Summe der Mitarbeiter lebt und nicht einen Erzeuger hat. Das wird von allen getragen, die hier arbeiten. Aber ja, hier steckt viel von meinen Wunschvorstellungen drin. Das merke ich an mir selbst, weil ich mich hier wohlfühle.
Wie finden Sie persönlich einen Ausgleich zu dieser Aufgabe?
Ich arbeite gerne im Garten, fahre Rennrad, jogge, spiele leidenschaftlich Schach – und zu allem komme ich zu wenig.
Welche Rolle hat der Rettungsdienst in Deutschland?
Der Stellenwert ist leider viel zu gering. Aus meiner Sicht sollte der Rettungsdienst auf Augenhöhe sein im Gesundheitswesen. In der Notfallmedizin ist es ganz entscheidend, mit welcher Qualität Patienten erstversorgt werden. Daher sind gut strukturierte, aber auch gut ausgebildete Rettungsdienste essentiell.
Welche Rolle wird der Rettungsdienst in zehn Jahren spielen?
Der Rettungsdienst wird eine sichtbare und erkennbare Rolle in der Daseinsvorsorge haben. In der Behandlungskette wird er als medizinischer Dienstleister einen viel höheren Stellenwert haben. Ein Grund dafür wird sein, dass der Rettungsdienst im ambulanten und stationären Bereich ganz viel abdecken wird, was dort gar nicht mehr geleistet werden kann. Darin liegt auch eine Riesen-Chance.